30. Jahrestag des ASB Regionalverbandes Ostbrandenburg e. V.
Die Worte vom Vorstandsmitglied Hartmut Liesegang lesen Sie hier.
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Samariterinnen und Samariter, liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Wir wollen helfen“ – dieses Motiv bewegte auch jene sechs Zimmerleute aus Berlin, die sich im Jahr 1887 trafen, um den ASB aus der Taufe zu heben. Sie reagierten damit auf die industrielle Entwicklung, in deren Folge Arbeitsunfälle, mangelhafter Arbeitsschutz und unzureichende Versorgung der verunglückten Arbeiter den Arbeitsalltag bestimmten. Dem wollten sie nicht länger tatenlos gegenüberstehen und organisierten eine Erste-Hilfe-Schulung für Arbeiter.
„Wir wollen helfen“ – durch ausgebildete Ersthelfer und Anleitung zur Selbsthilfe. Zu diesen Helfern gesellten sich Ärzte, darunter viele jüdische, die die Arbeiter-Samariter sowohl bei der Ausbildung als auch durch kostenlose Behandlung armer Familien unterstützten. So wuchs aus selbstloser Hilfe der erste Wohlfahrtsverband in Deutschland.
Und es verwundert sicher niemanden, dass der Gedanke „wir wollen helfen“ unsere Geschichte als Arbeiter-Samariter-Bund durch seine gesamte Geschichte als Leitmotiv begleitet hat. Aus „wir wollen helfen“ wurde „helfen ist unsere Aufgabe“ und in den letzten Jahren der noch verbindlichere Anspruch „wir helfen – hier und jetzt“. Wir stehen also in einer über 130-jährigen Tradition der Solidarität und Hilfe für Menschen in der Gesellschaft, die diese Hilfe brauchen. Und - ja, wir sind uns dabei auch der wechselvollen Geschichte des ASB bewusst. Aus der gesellschaftlichen Entwicklung heraus eng mit der Arbeiterschaft verbunden, durch die Nationalsozialisten verboten und verfolgt, in Westdeutschland nach dem Naziterror neu gegründet und im Osten und der DDR nicht gewollt – das skizziert in wenigen Worten Teile des bewegten Lebens unseres Verbandes. Doch trotz aller Höhen und Tiefen blieb sich der ASB seiner Ideale stets treu, nämlich unparteilich, sozial und engagiert zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird – unabhängig von Herkunft, Glauben und Hautfarbe. Diese Haltung schließt ein, für Menschlichkeit und Gerechtigkeit einzutreten und gegen Rassismus, Antisemitismus und Krieg die Stimme zu erheben. Und das heute mehr denn je.
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Samariterinnen und Samariter, ich weiß nicht, wie viele von Ihnen jene gesellschaftlichen Umwälzungen Ende der 80er Jahre vorhergesehen haben. Gewünscht – ja schon, erhofft – auch, aber auch realistisch? Und dennoch passierte, was viele Menschen in Ost und West nicht für möglich gehalten haben. Es waren die Menschen im Osten und weitsichtige Politiker, die dafür sorgten, dass der Ost-West-Konflikt auf friedlichem Weg zusammenbrach und sich die Tür für ein neues europäisches Haus öffnete. Was für eine Chance!
Und so ergaben sich mit den friedlichen Umwälzungen 1989 in der DDR und des Beitritts der DDR zur BRD plötzlich völlig neue Möglichkeiten des gesellschaftlichen Engagements im Osten Deutschlands und hier bei uns in Frankfurt (Oder).
Werte Leserinnen und Leser, nachdem im November 1989 die Grenzen geöffnet wurden, gründete sich bereits im Januar 1990 der erste ASB Ortsverband in Güstrow. Zehn Monate später, am 3. Oktober 1990, dem Tag der Einheit, waren es bereits 82 Ortsverbände des ASB mit mehr als 22 000 Mitgliedern in Ost- und Mitteldeutschland. Und wir gehörten dazu. Am 22. April 1990 wurde unser Regionalverband Frankfurt (Oder) als zweiter Regionalverband in Brandenburg gegründet.
Wenn wir an die Geburtsstunde unseres Regionalverbandes zurückdenken, dann möchten wir unbedingt ein herzliches Dankeschön unseren Freunden des ASB-Regionalverbandes in Heilbronn-Franken sagen, die uns mit Rat und Tat unterstützt haben. Dazu zählt unter anderem Rainer Holthius (Geschäftsführer des ASB Heilbronn-Franken), unser damaliger Geburtshelfer, langjähriger Pate und guter Freund. Unsere Begegnungen spiegeln wider, was Partnerschaften wie die zwischen den Städten Heilbronn und Frankfurt (Oder) sowie innerhalb unseres Wohlfahrtsverbandes bewegen können: Aus Neugier wurde Verständnis, aus Verständnis fruchtbarerer Dialog, aus Distanz wuchs vertrauensvolle Nähe. Auch Herr Harald Friese, damals Stadtrat für Kultur, der den Kontakt nach Frankfurt (Oder) suchte. Heute ist er Vorsitzender des ASB Heilbronn-Franken. Danke für diese wertvollen Erfahrungen und herzliche Grüße nach Heilbronn.
Verehrte Leserinnen und Leser, ein Jubiläum zu würdigen, ist ohne eine Rückschau nicht möglich. Daher in aller Kürze ein kleiner Rückblick zur 30-jährigen Erfolgsgeschichte: Was am 22. April 1990 mit der Gründung und einer Sozialstation um unsere engagierte Annerose Kaul begann, wuchs in den 90er Jahren unter anderem über die Kita „Haus der fröhlichen Kinder“ in Eisenhüttenstadt, die Übernahme des Seniorenhauses „Karl Marx“ in der Gubener Straße in der Oderstadt, den Seniorentreff und und und … zu einem mitgliederstarken Verband sowie einem geschätzten professionellen Dienstleister im breiten Spektrum der sozialen Arbeit heran. Nach der Jahrtausendwende wurden die Notunterkunft in Voßberg (bei Letschin) übernommen, die Alzheimer-Beratungsstelle in Frankfurt (Oder) entwickelt, der ASB-Seniorentreff in Eisenhüttenstadt ins Leben gerufen, das Altenpflegeheim „Abendsonne“ nach dem Umbau des Internates der Telekom in der Markendorfer Straße eröffnet, der ASB-Wohnpark im Südring gebaut, mehrere Objekte des betreuten Wohnens im Zentrum von Frankfurt (Oder) und Beeskow geschaffen, die erste Demenz-WG in Frankfurt (Oder) in Betrieb genommen, der Seniorentreff und -sport mit vielen Angeboten weiter ausgebaut und die Erste-Hilfe sowie die Arbeiter-Samariter-Jugend (ASJ) vor allem in Schulen auf- und ausgebaut.
Wir helfen hier und jetzt, das galt auch, als unser Land die große Flüchtlingswelle zu überfordern drohte. Besonders unsere Partner im Landkreis Märkisch Oderland haben den schnellen und unkomplizierten Beitrag des ASB schätzen gelernt und uns mit der Begleitung von Flüchtlingen in mehreren Einrichtungen betraut. Das da so ganz nebenbei in Golzow - durch den Zuzug von Flüchtlingen mit Kindern in Wohnungen der Gemeinde - die Grundschule am Ort gehalten werden konnte, ist eine sehr schöne Episode. In der Bilanz darf auch unser jüngstes Projekt nicht fehlen: Das Haus „Vitalis“ des ASB in der Heilbronner Straße mit seinem weit und breit bislang beispiellosen Angebot von Wohnen für Menschen mit Pflegebedarf, ärztlichen und therapeutischen Leistungen, integrierter Tagespflege, Apotheke, Sanitätshaus und Fahrdienst – alles unter einem Dach.
Es sind die Menschen, ihre Motive, ihre Kreativität, ihr Einsatz, der solche Entwicklungen trägt. Zu den verdienstvollen Menschen, die in schwierigen Zeiten Verantwortung übernommen haben, gehören Eberhard Tchetsche, Wolfgang Roske und Ekkehard Tillack. Unser Dank unsere Anerkennung gilt auch Mitgliedern der ersten Stunde, deren langjähriges Wirken unseren Verband maßgeblich mitgeprägt haben- wie Annerose Kaul, Frau Band (Marianne), Frau Friedemann (Christa), Henriette Gewand, Gabriele Göritz und Herrn Ehlert (Ulrich). Wir sind sehr stolz auf die vielen ungenannten Mitglieder und Mitarbeiter, die sich die Ideale des ASB zu eigen gemacht haben und täglich in diesem Geist das Beste geben.
Ich möchte dazu nur diese Geschichte herausgreifen, die von diesem Geist kündet und zugegeben besonders bewegend ist. Wolfgang, Anfang der 50er Jahre geboren, wurde durch seine Behinderung von seiner überforderten Familie in die Hände des Staates übergeben. Es folgte eine Odyssee durch psychiatrische Einrichtungen ohne gezielte Förderung. Schließlich lernte der nunmehr Erwachsene in Wittstock eine Besucherin kennen, die sich seiner liebevoll annahm. Das Problem war, sie wohnte in Frankfurt (Oder), und dort gab es zum Glück das passende Angebot. Es war die damalige Leiterin des ASB-Seniorenheimes in der Gubener Straße, Henriette Gewand, die kurz entschlossen entschied, Wolfang kommt zu uns, wir werden helfen. So erhielt er Nähe und Zuwendung, eine Förderung in der Behindertenwerkstatt bei Wichern, enge Kontakte zur Kirchengemeinschaft und begann sein Leben in drei kleinen Büchlein aufzuarbeiten. Das letzte Kapitel ist im Übrigen das schönste. Denn nach weit über 50 Jahren fand er endlich Kontakt zu seiner Familie und konnte seine Mutter und seine Geschwister kennenlernen. So erfüllte sich seine größte Sehnsucht. Wolfgang starb am Ende in Frieden. Großes Kino, könnte man sagen. Aber wäre diese wundervolle Erfahrung ohne Menschen die helfend zupacken oder die Hoffnung geben und Mut stärken? Man muss es wollen, aber auch dürfen, und man muss es einfach tun. Das ist der Geist, der in dieser und vielen anderen Geschichten lebt. Ich bin stolz darauf, dazuzugehören.
Ich möchte allen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unseren Mitgliedern und Unterstützern sehr herzlich für ihr Engagement und ihre Hilfe danken, ohne die die dreißigjährige erfolgreiche Geschichte des ASB undenkbar wären. Deshalb ist es uns ein besonders wichtiges Anliegen, den Helfenden den Rücken zu stärken. Das gilt in besonderer Weise für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mehrfache Auszeichnungen als „Attraktiver Arbeitgeber in der Pflege“ oder unser seit 2010 im Rahmen eines Mitarbeiter-Projektes entwickeltes Gesundheitsmanagement kennzeichnen diesen Weg. Im Übrigen werden im Rahmen der Gesundheitsförderung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch finanziell unterstützt und können sich mit bis zu sechs Tagen Sonderurlaub im Jahr für regelmäßige gesundheitsfördernde Aktivitäten belohnen.
Erfolgreiche Arbeit und ein gesundes Arbeitsklima gehören bei uns zusammen. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass die Fluktuation in unseren Einrichtungen seit langem gering ist und so mancher den Weg zu uns zurückgefunden hat. Aber es wird zunehmend auch in unseren Einrichtungen schwieriger, die notwenigen Fachkräfte und Helfer, insbesondere in der Pflege, zu gewinnen. Es ist bekannt, dass die Anforderungen in der Pflege und Begleitung älterer und bedürftiger Menschen weiter wachsen werden. Aber es hat sich etwa verändert, das vielfach unterschätzt worden ist. Die Bereitschaft, in Pflegeberufen mit all ihren Herausforderungen zu arbeiten und zu bleiben, ist rückläufig. Es fehlte viel zu lange die Diskussion darüber, welche Pflege wir uns leisten wollen und können. Statt mehr Anerkennung und mehr Personal gibt es mehr Bürokratie und Kontrollen. Statt einer wirklichen Reform der Pflegeversicherung gibt es viel zu lange gut gemeinte Flickschusterei. Jedoch: es ist etwas in Bewegung gekommen! Es gibt die konzentrierte Aktion Pflege und einige wichtige erste Weichenstellungen. Was wir aber dringend brauchen, das ist die Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung, damit für die steigenden Kosten in der Pflege nicht mehr die Pflegebedürftigen oder die Sozialämter aufkommen müssen.
Hartmut Liesegang
Vorstand
ASB Regionalverband Ostbrandenburg e. V.